Herr Tata, Sie haben 2008 den Verein „Der Elefant!“ mitgegründet. Wie kam es dazu?
Rodrigue Tata: Ich habe in Deutschland meinen Doktor gemacht. Meine Doktorarbeit hat sich auch mit dem Thema Kolonialismus beschäftigt. Ihr Titel lautet: „Eine soziologische Untersuchung der internen Ursachen der Unterentwicklung“. Bei einer Diskussionsveranstaltung habe ich Bremerinnen und Bremer kennengelernt, die sich mit dem Thema Kolonialismus beschäftigt haben. Das hat mir gefallen. Aus diesem Kreis ist der Verein entstanden.
Wie sind Sie nach Bremen gekommen?
Ich hatte Sehnsucht danach, meinen Horizont zu erweitern. Ich habe in Togo meinen Magister gemacht, dann habe ich mich beworben und konnte vom Jahr 2000 mein Studium in Deutschland fortsetzen. In Trier habe ich schließlich promoviert.
Was erwarten Sie als Togoer von Bremen und Deutschland, was den Umgang mit dem kolonialen Erbe betrifft?
Man kann wohl erwarten, dass in der deutschen Öffentlichkeit, ob in Schulen oder in den Medien, mehr über die deutsche Kolonialvergangenheit geredet wird, damit sie nicht in Vergessenheit gerät. Das betrifft sowohl die koloniale Vergangenheit in Togo und in Übersee, aber auch in den Ostgebieten Europas und anderswo. Man darf nicht schweigen und nicht verschweigen – das würde das große Unrecht relativieren und verkleinern. Man muss darüber reden, damit nachfolgende Generationen eine Lehre aus der Vergangenheit ziehen und dafür sorgen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.
Rodrigue Tata (zweiter von links), ehemaliger Bremer und erster Vizebürgermeister der Präfektur Kozah in Togo.
Foto: Privat
Ist Deutschland Togo etwas schuldig?
Von Schuld möchte ich nicht sprechen. Die Ausbeutung Afrikas durch Europäer muss man im Spiegel ihrer Zeit sehen. Europäer fühlten sich durch ihre Kultur wie selbstverständlich anderen Kulturen überlegen. Sie wussten es nicht besser. Es gab keine Chance für Völkerverständigung.
Gibt es keine Verpflichtung, etwas wiedergutzumachen, wenn ein Teil des europäischen Reichtums aus der Ausbeutung anderer Staaten resultiert?
Das Unrecht von damals kann man nicht wiedergutmachen. Die heutigen Deutschen können nicht für das verantwortlich gemacht werden, was ihre Vorväter taten – ohne jedes Unrechtsbewusstsein. Aber richtig ist, dass sie weiter von den – symbolischen als auch realen – Früchten der Kolonisation profitieren. Die Debatte über die im kolonialen Kontext entwendeten Kulturgüter macht es deutlich: Es ist die heutige Generation, die behauptet, es gebe Gesetze, durch die solche Kulturgüter, selbst wenn diese nachweislich unter unrechtmäßigen Umständen erworben wurden, geschützt sind. Das heißt, sie zieht ihren Nutzen aus der kolonialen Vergangenheit, will aber nicht haftbar gemacht werden für die Gräueltaten der Kolonisation.
Man könnte Reparationszahlungen fordern. 2021 haben sich die Bundesregierung und Namibia wegen der Gräueltaten an Herero und Nama auf eine Zahlung von 1,1 Milliarden Euro für Entwicklungsprojekte geeinigt, die in einer Zeitspanne von 30 Jahren gezahlt werden sollen.
Die Gräuel von Völkermord kann niemanden ungerührt lassen. Grundsätzlich aber halte ich Versöhnung für wichtiger als finanzielle Wiedergutmachung. Wichtig sind der Austausch, die Verständigung und der Blick in eine bessere, gerechtere und nachhaltigere gemeinsame Zukunft. Es geht um Ehrlichkeit und Respekt, schlicht um Humanismus.
In Ihrer Doktorarbeit kommen Sie zu dem Schluss, dass nicht allein die Ausbeutung durch Deutsche für die „Unterentwicklung“ Togos verantwortlich ist. Was ist noch ursächlich?
Es gibt auch innerafrikanische Gründe. Die Rückkehr zu den afrikanischen Wurzeln nach der gewonnenen Unabhängigkeit führte – auch in Togo – direkt in die Diktatur. Leider muss man sagen, dass es in Togo und anderswo in Afrika auch Menschen gab, die ihre eigenen Landsleute versklavt und ausgebeutet haben. Auch daraus ist Reichtum entstanden, von dem bis heute gezehrt wird. Bis heute gibt es ausbeuterische Strukturen. Wenn man also darüber redet, welche Wiedergutmachung in Deutschland und in Europa zu leisten ist, muss auch irgendwann die Frage gestellt werden: Was habt ihr getan? Warum macht ihr es selbst nicht besser? Es ist wichtig, aus Fehlern zu lernen, das gilt für alle Seiten.
Meinen Sie fairen Handel?
Zum Beispiel. Avocados, Ananas und Mangos, die hier angebaut werden, Rohstoffe wie Öl, Zement, Diamanten, Gold müssen zu fairen Preisen angekauft werden, damit sich nicht bis heute fortsetzt, was zurzeit des Kolonialismus falsch gemacht worden ist. Es gibt auch andere Arten, den ehemaligen Kolonien zu helfen. Zum Beispiel indem Menschen, die eine medizinische Ausbildung haben, sich für ein paar Wochen oder Monate in diesen Ländern engagieren.
Was kann man in Togo tun, um den Kolonialismus aufzuarbeiten?
Auch wir müssen über die Vergangenheit reden, ohne jemanden zu beschuldigen, sondern um aus Fehlern zu lernen. Wir müssen Gelegenheiten suchen, um den Austausch zu ermöglichen – in der Wissenschaft, der Kultur, im Sport, in der Medizin, in den Kirchen. Afrika und Europa haben nicht die gleichen Probleme, aber sie können voneinander lernen und profitieren.
Wird in Togo über diese Themen diskutiert?
Sehr wenig. Bis heute sagt man hier über Deutsche, sie seien streng, aber gerecht. Man schätzt Deutschland für seine Technologien, für seine Dichter und Denker. Allerdings könnten aktuelle Entwicklungen in Deutschland, das Erstarken des rechten Rands sowie der Umgang mit der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit diese – bis jetzt – positive Einstellung den Deutschen gegenüber für immer schädigen und in Ressentiments umschlagen lassen. Bedauert wird auch, dass es keine Staatsbesuche von hochrangigen Politikern aus Deutschland gibt. Der Kanzler und der Bundespräsident waren beispielsweise im Senegal, in Ghana, Kenia und Südafrika. Die Togoer hoffen, dass gerade wegen der Vergangenheit solche Staatsbesuche gemacht werden.
Sie sind 2010 nach Togo zurückgekehrt. Wie verlief Ihr weiterer Werdegang dort?
Ich habe einige Jahre an der Universität als Abteilungschef für Soziologie gearbeitet, dann war ich Leiter des Prüfungsamts der Universität Kara. Jetzt bin ich erster Vize-Bürgermeister in einer Kommune der Präfektur Kozah. Sie besteht aus vier Kantonen. Unser Gemeinderat besteht aus 19 Mitgliedern. Es gibt viel zu tun, vor allem in den Bereichen Umwelt, Energie, Straßen und Verkehr, Gesundheit und Schulwesen.
Haben Sie nie erwogen, in Bremen zu bleiben?
Ich bin nach Deutschland gekommen, um mein Wissen zu erweitern und dieses Wissen später einzusetzen, um die Lebensumstände in Afrika zu verbessern. Ich war fasziniert von Deutschland und den Bedingungen des Studiums. Ich hätte in Deutschland alles gehabt, aber es geht nicht um mich. Ich fühle mich verpflichtet, das, was ich in Deutschland lernen konnte, für mein Land zu nutzen. Afrika scheint mir eine große Zukunft zu haben, und ich möchte daran teilnehmen.
Das Gespräch führte Silke Hellwig.
Zur Person
Padabo Kelem Tata (51)
stammt aus Togo. Er ist Soziologe und hat zehn Jahre in Deutschland gelebt, vor allem in Bremen. Er ist erster Vizebürgermeister in Kozah, einer Präfektur im Norden des Landes. Sein Taufname ist Rodrigue.
Zur Sache
Gedenkveranstaltung im Nelson-Mandela-Park
Zu einer Gedenkveranstaltung sind an diesem Freitag, 11. August, Bremerinnen, Bremer und Gäste eingeladen. Erinnert wird an die Opfer der Schlacht von Ohamakari und die des Völkermords an Herero und Nama im heutigen Namibia in den Jahren 1904 bis 1908. Veranstaltet wird das Gedenken vom Verein „Der Elefant!“, der Landeszentrale für politische Bildung, der Senatskanzlei, dem Afrika-Netzwerk Bremen sowie dem Verein Bremer Afrika-Archiv. Beginn ist um 13 Uhr am Mahnmal im Nelson-Mandela-Park.
Hintergrund: 1904 lehnte sich die Bevölkerungsgruppe der Herero gegen die deutschen Kolonialherren auf. Truppen des deutschen Kaiserreichs schlugen ihn blutig nieder und ermordeten gezielt Herero und Nama. Auftakt für den Völkermord war die Schlacht von Ohamakari am 11. August 1904. Bis 1908 dauerte die systematische Verfolgung und Vernichtung an, heißt es im Einladungstext zur Gedenkveranstaltung. Und weiter: „Bis zu 90.000 Menschen wurden ermordet, starben durch militärische Gewalt, durch Verdursten und Verhungern auf der Flucht oder an der Zwangsarbeit in den Konzentrationslagern der deutschen Kolonie.“
An das Gedenken, das in dieser Form zum fünften Mal stattfindet, schließt sich ein „Nachmittag der Begegnung“ im Park an. Jede und jeder sind willkommen. Geplant sind Vorführungen und Musik, obendrein gibt es Getränke und Gespräche, so die Veranstalter.
Die "Musterkolonie"
Togo – im Deutschen Kaiserreich auch Togoland oder Deutsch-Togo genannt – war die kleinste deutsche Kolonie in Afrika. Sie galt von 1884 an „als die deutsche ,Musterkolonie‘“, heißt es in einem Abriss über die Geschichte des Kaiserreichs des Deutschen Historischen Museums. Grundlage war der – aus Sicht der Kolonialherren – wirtschaftliche Erfolg der Kolonie. Er gründete auf Ausbeutung, Versklavung und Marktbeherrschung.
Deutsche Firmen exportierten beispielsweise nicht nur, aber vor allem Alkohol in die Küstenregion. Da in den französischen und britischen Nachbarkolonien Alkohol mit hohen Zöllen belegt gewesen sei, habe sich „ein reger Schwarzhandel von Lomé in die umliegenden Regionen“ entwickelt. Lokale Machthaber seien für ihre Treue zu deutschen Handelshäusern mit Alkohol und Waffen bezahlt worden.
Zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde das reiche Hinterland erschlossen, insbesondere durch die erste Eisenbahnlinie, die sogenannte Kokosnussbahn, heißt es in dem Text weiter. Sie fuhr zwischen Lomé und Anecho, später auch bis nach Palime sowie Atakpame, insgesamt überspannten die Schienen rund 320 Kilometer. „Baumwolle, Kaffee, Kakao, Kautschuk, Erdnüsse, Kokos und Sisalhanf konnten jetzt direkt aus dem Hinterland von dort eigens angelegten Plantagen gewonnen werden. An der Küste wiederum hatten deutsche Händler Branntwein- und Petroleumfaktoreien errichtet, um den Handel in die größeren Absatzgebiete umfassend ausschöpfen zu können. In finanzieller Hinsicht rentierte sich Togo als einzige der deutschen Kolonien“, fasst das Deutsche Historische Museum zusammen.
Am 25. August 1914 kapitulierte Togo als erste deutsche Kolonie. 1920 wurde Togo unter die Aufsicht des Völkerbundes gestellt, von Briten und Franzosen geteilt. Später stand es unter französischer Kolonialverwaltung, 1960 wurde es zur unabhängigen Republik Togo.
Vor 1914 waren laut dem Bremer Historiker Hartmut Müller 25 bis 30 Bremer Firmen mit etwa 200 Niederlassungen in den deutschen Kolonien in Westafrika aktiv. Dazu zählten die Firmen Vietor, Oloff und Pelizaeus, so Müller in einem Interview mit dieser Zeitung. Weiter erläuterte Müller: „Fast alle Bremer Firmen, die damals in den Kolonien tätig waren, haben den Ersten Weltkrieg und die Zeit danach nicht überlebt. Möglicherweise bestehen noch im Holzhandel Nachfolgefirmen, darüber habe ich aber keinen Überblick. Ansonsten gibt es meines Wissens heute keine Bremer Firma mehr, die in jener Zeit in den Kolonien tätig war.“
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Author: Jamie Cook
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